Dharma und herausfordernde Situationen

Mein Name ist Zahra, ich lebe seit 45 Jahren in Österreich und stamme aus Kabul, Afghanistan.

Am Vormittag des 15. August 2021 erfahre ich in den Nachrichten von der Übernahme Kabuls durch die Taliban. Niemand hat damit gerechnet! Es gleicht einer Todesnachricht der Freiheit.

Nach dem ersten Schockmoment wieder zu mir kommend bemühe ich mich, so gewahr wie möglich zu bleiben, um meine Gefühle aus einem Abstand zu beobachten, die mit mir Achterbahn fahren. Weinend trauere ich um die verlorene Freiheit der afghanischen Frauen und Mädchen. Wissend darüber, was auf sie zukommt und mit welchen Einschränkungen sie nun leben müssen, fühle ich mit ihnen mit. So viel Leid! So viele zerstörte Träume! Trauer, Zorn, Wut und Ohnmacht überkommen mich immer wieder, befindend in einem Sonderzustand durchdringe ich so gut es mir gelingt mit meinem Gewahrsein all diese Gefühle. Mal gelingt es und mal nicht und ich empfinde unendlich viel Dankbarkeit in einem freien Land zu leben, den kostbaren Lehren begegnet zu sein und sie anzuwenden.

Zwischendurch fallen mir die buddhistischen Klosterruinen, Relikte und Artefakte ein. Vor ein paar Jahren wurde im südlichen Teil von Kabul eine Klosteranlage entdeckt, deren Ikonographie darauf hindeutet, dass der buddh. Tantrismus in dieser Gegend praktiziert wurde. Der Buddhismus genießt in dieser Gegend keine Toleranz, weil davon ausgegangen wird, dass Buddhisten Götzenanbeter sind und die Buddhastatuen anbeten. Mit dieser Anschauung legimitiert man die Zerstörung der Artefakte der vorislamischen Geschichte Afghanistans. Irrtümliche Annahmen aufgrund von fehlenden Faktenchecks haben in allen Zeiten und Kulturen für Verwirrung, Ablehnung, Verfolgung und Krieg gesorgt.

Nach einiger Zeit versuche ich den Ursachen auf den Grund zu gehen, weil alle Phänomene aus Ursachen entstehen. Ich recherchiere und reflektiere über mehrere Wochen. Die Bedingungen dafür wurden über viele Jahre geschaffen und deshalb konnten die Taliban Kabul leicht einnehmen. Es ist eine große Herausforderung diese Tatsache zu akzeptieren.

Was hilft mir, mit dieser Situation und meinen Gefühlen umzugehen?

Das Wissen um die Vergänglichkeit aller Dinge – der mir mögliche Beitrag zur Verbesserung der Umstände für eine Alleinerzieherin vor Ort – gute Wünsche sowie Widmung meiner Praxis für Afghanistan, lässt mich leichter mit dieser Situation und meinen Gefühlen umgehen.